Traumatherapie

Traumatherapie


„Mut ist nicht immer brüllend laut. Manchmal ist es die ruhige, leise Stimme am Ende des Tages, die sagt: Morgen versuche ich es wieder.“ Mary Anne Radmacher


Trauma bedeutet auf Griechisch „Wunde“ – und genau wie der Körper kann auch die Seele durch schlimme Erfahrungen verletzt werden. Manchmal heilt sie aus eigener Kraft, oftmals aber braucht sie Hilfe von außen. Dann ist eine Traumatherapie sinnvoll, um Stabilität, Kontrolle und das Gefühl von Selbstwirksamkeit wiederzuerlangen.

Es gibt verschiedene Methoden und Ansätze, einem Trauma zu begegnen. Häufig greifen sie ineinander über oder ergänzen sich. Allen ist das Ziel gemeinsam, verfügbare Ressourcen zu ermitteln und sie in ihrer Entwicklung zu stärken.

Traumatherapien im Überblick

  • Was ist ein Trauma?

    Ein Trauma ist ein überwältigendes und belastendes Ereignis. Es ist oft das Resultat von Gewalteinwirkung – sowohl physischer als auch psychischer Natur. Vorausgegangen ist, dass der betroffene Mensch in einer bedrohlichen Situation nicht mit Flucht oder Kampf – zwei unserer drei angeborenen Überlebensstrategien – reagieren konnte. Vielmehr wurde die dritte Überlebensstrategie wirksam: Schock bzw. Totstellreflex in Form von Erstarrung. Damit konnte die mobilisierte Energie nicht entladen werden – sie verbleibt im Nervensystem. Manchmal vergeben Ersthelfende in solchen Situationen beruhigende Medikamente und unterstützen diesen unguten Zustand des Nichtentladenkönnens, anstatt ihn sich ausagieren zu lassen, zum Beispiel durch Zittern. In der Folge reagiert der Organismus so, als würde die Gefahr weiter bestehen – er befindet sich dauerhaft in einem übererregten Alarmzustand. Wenn das Trauma sich nicht selbstständig verarbeiten lässt und Traumatisierungen bereits in der Kindheit stattgefunden haben, können vielerlei Symptome als Posttraumatische Belastungsstörungen auftreten: Ängste, Depressionen, starke Unruhe, massive Wutausbrüche, Panik, Schlaflosigkeit, chronische Schmerzen, Migräne.

  • Was passiert im Gehirn?

    Bei einem schlimmen Erlebnis gerät der Körper in einen akuten Stresszustand – eine natürliche Anpassungsreaktion an die Gefahrensituation. Wenn allerdings das Gefühl der Bedrohung nicht abreißt, kann sich daraus chronischer Stress entwickeln. Es werden ununterbrochen Stresshormone ausgeschüttet, die sich ungünstig auf die Nervenzellen auswirken. Vor allem frühe Beziehungstraumata führen in der Folge des Lebens zu einer geringen Stresstoleranz.

    Folgende Teile des Gehirns sind an der traumatischen Verarbeitung beteiligt:


    • Der Hirnstamm

    • Das limbische System

    • Der Neocortex


    Der Hirnstamm regelt die unbewussten lebenserhaltenden Funktionen: Verdauung, Atmung, Herzaktivität und die Hormonausschüttung (Cortisol, Adrenalin).


    Das limbische System (Fühlhirn) ist unter anderem für die Verarbeitung von Gefühlen verantwortlich, es beeinflusst das Gedächtnis und den Antrieb. Hier wird bewertet, ob etwas angenehm oder lästig ist, ob es eine Gefahr darstellt und was im Interesse des Überlebens wichtig oder unwichtig ist. Anteile des limbischen Systems, der Hippocampus (Seepferdchen) und die Amygdala (Mandelkern), sorgen zum einen dafür, dass das Gelernte in den Langzeitspeicher des Großhirns gelangt (Hippocampus), und zum anderen, dass die mit einer Erfahrung verbundenen Gefühle gespeichert werden (Amygdala). Unangenehme Erfahrungen werden so vermieden. 


    Der Neocortex bildet den Großteil der Großhirnrinde. Ab dem zweiten Lebensjahr entwickeln sich die Frontallappen, die uns von allen anderen Säugetieren unterscheiden. Diese ermöglichen es uns, Sprache zu benutzen und abstrakt zu denken, riesige Mengen an Informationen aufzunehmen und mit ihnen einen Sinn zu verbinden, zu planen und zu reflektieren.


    Wird eine Gefahr erkannt, so werden augenblicklich über den Hirnstamm die Stresshormonproduktion (Kortisol und Adrenalin), und das autonome Nervensystem (Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz) alarmiert, damit eine Reaktion des gesamten Körpers initiiert und er für Kampf oder Flucht vorbereitet wird. Das bedeutet, der sympathische Zweig des Nervensystems wurde aktiviert. Zum anderen werden die Informationen vom Thalamus (Tor zum Bewusstsein) über den Hippocampus zum Neocortex geleitet, wo eine bewusste und detaillierte Deutung stattfindet. Dieser Weg ist einige Mikrosekunden langsamer als der reflexartige über die Amygdala. Rauch wird zum Beispiel über die Amygdala als Gefahr gedeutet, weil das Haus in Flammen stehen könnte. Die Alarmsysteme im Körper werden augenblicklich gestartet. Dann erst greift der Neocortex ein, der detaillierter analysiert – er erkennt, dass es nur das Steak in der Pfanne ist und gibt Entwarnung. Der Alarm im Körper wird schließlich vom Parasympathikus abgeschaltet, Entspannung tritt ein.


    In einem Zustand von extremer Traumatisierung kann eine Verknüpfung des Neu-zu-Lernenden mit bereits bekannten Inhalten nicht erfolgen, es kann durch Blockierungen kein Abgleich mit dem Hippocampus und dem Neocortex stattfinden. Extreme traumatische Erfahrungen werden in der Amygdala als Gefühlszustände, Bilder oder körperliche Reaktionen isoliert, losgelöst von dem eigentlichen Ereignis, gespeichert. Sie können aber nicht im Gesamtzusammenhang erkannt werden. Es besteht also oftmals keine Erinnerung an das Ereignis.


  • Bin ich traumatisiert?

    Fragebogen zur Schwere der Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung: Die Fragen entsprechen dem International Trauma Questionnaire nach ICD-11 in der deutschen Version. 


    Quelle: Cloitre, M., Shevlin, M., Brewin, C.R., Bisson, J.I., Roberts, N.P., Maercker, A., Karatzias, T., Hyland, P. (in press). The International Trauma Questionnaire: Development of a self-report measure of ICD-11 PTSD and Complex PTSD. Acta Psychiatrica Scandinavica. DOI: 10.1111/acps.12956. Deutsche Übersetzung: Lueger-Schuster, Knefel, Maercker (2015/2018)


    Erläuterungen - (Punkte)

    (0) Gar nicht = überhaupt nicht oder nur einmal im letzten Monat

    (1) Ein bisschen = einmal pro Woche oder seltener/manchmal

    (3) Mittelmäßig = 2- bis 3-mal pro Woche/bis zur Hälfte der Zeit

    (4) Ziemlich = 3- bis 5-mal pro Woche/über die Hälfte der Zeit

    (5) Sehr stark = 6-mal oder öfter pro Woche/fast immer 


    Je höher die Summe der Punkte, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Posttraumatischen Belastungsstörung.



    Aufwühlende Träume, in denen Teile des Erlebnisses wieder passierten oder die einen klaren Bezug zu dem Erlebnis hatten.


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       

     

    Intensive Bilder oder Erinnerungen, die manchmal auftauchen und bei denen Sie sich fühlen, als ob das Erlebnis jetzt und hier gerade noch einmal stattfindet.


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       


    Vermeiden, dass etwas von innen an das Erlebnis erinnert (zum Beispiel Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen).


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       

       

    Vermeiden, dass etwas von außen an das Erlebnis erinnert (zum Beispiel Menschen, Orte, Gespräche, Dinge, Tätigkeiten oder Situationen).


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       

       

    Extrem wachsam sein, aufmerksam oder „auf der Hut“ sein.


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark



    Sich kribbelig fühlen oder leicht erschreckbar sein.


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark



    Haben sich die zuvor genannten Probleme 

    im letzten Monat 


    1. Auf Ihre Beziehung zu anderen Menschen oder Ihre sozialen Kontakte ausgewirkt?


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       

     

    2. Auf Ihre Arbeit oder Ihre Arbeitsfähigkeit ausgewirkt?


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark

       

       

    3. Auf irgendeinen anderen wichtigen Lebensbereich ausgewirkt, wie zum Beispiel Kindererziehung, Leistungen für Schule oder Universität oder sonstige wichtige Aktivitäten?


    Gar nicht 

    Ein bisschen 

    Mittelmäßig 

    Ziemlich 

    Sehr stark 



    PTBS: Die Diagnose einer PTBS erfordert eines aus zwei Symptomen aus den

    Symptombereichen: (1) Wiedererleben im Hier und Jetzt, (2) Vermeidung

    und (3) Gefühl einer aktuellen Bedrohung sowie zumindest einen Indikator

    für die funktionale Beeinträchtigung in Verbindung mit diesen Symptomen.

    Ein Symptom oder ein funktionaler Beeinträchtigungsindikator ist

    erfüllt, wenn der jeweilige Wert ≥ 2 ist.


    Eine genauere Auswertung ist in einem persönlichen Gespräch möglich und

    nötig.



  • Umgang mit Traumatisierung

    Erste Hilfe - Notfallkoffer


    Für betroffene Menschen ist es bedeutsam, nach traumatischen Erfahrungen nicht allein gelassen zu werden. Wenn der Schrecken des Traumas nicht bewältigt werden kann und immer wieder in Bildern oder Erinnerungsschleifen auftaucht, brauchen diese Menschen besondere, wohlwollende Unterstützung und Trost. Wie eine körperliche Verletzung braucht auch ein Trauma, eine Verletzung der Seele, ebenfalls Zeit zum Verheilen. Ob ein Ereignis zu einem Trauma wird oder nicht, hängt von den Vorerfahrungen der betroffenen Menschen ab und ob sie in der Zeit danach begleitet werden. Die Zeit danach beginnt mit der ersten Minute.


  • Stabilisierungstechniken

    Um eine Selbstberuhigung zu erreichen und sich wieder selbstwirksam und kontrolliert zu erleben, sind Stabilisierungstechniken sehr hilfreich. Außerdem können nach eingehender Übung Flashbacks gestoppt werden. Das Gehirn hat die Fähigkeit (Neuroplastizität), seinen Aufbau und seine Funktionen so zu verändern, dass es optimal auf neue Anforderungen reagieren kann. Dabei werden neue Verbindungen zwischen einzelnen Nervenzellen gebildet.

    Alle Stabilisierungstechniken sind nur dann effektiv, wenn sie regelmäßig und häufig geübt werden, damit in den besonders herausfordernden Situationen darauf zurückgegriffen werden kann. Alles, was wir wirklich können, haben wir mindestens eine Million Mal gemacht.


    5-4-3-2-1-Übung 

    (Anleitung - Nach DOLAN, Yvonne (1991))

    Diese Stabilisierungstechnik ist hilfreich, um aus Erinnerungsschleifen sowie sich wiederholenden Bildern herauszufinden und sich im „Hier und Jetzt“ zu verankern. Sie kann auch zum Einschlafen genutzt werden. 

    Finden Sie eine angenehme Position für Ihren Körper und einen Punkt im Raum, auf dem Sie Ihren Blick ruhen lassen. Die Augen sind dabei zunächst offen und werden später geschlossen. Je nach Befindlichkeit können sie auch offen gelassen werden – alles ist erlaubt.

    Sprechen Sie laut oder in Gedanken, was Sie gerade mit Ihren Sinnen wahrnehmen:


    5-mal: Ich sehe ... !  5-mal: Ich höre ... !  5-mal: Ich spüre ... ! 

    4-mal: Ich sehe ... !  4-mal: Ich höre ... !  4-mal: Ich spüre ... ! 

    3-mal: Ich sehe ... !  3-mal: Ich höre ... !  3-mal: Ich spüre ... ! 

    2-mal: Ich sehe ... !  2-mal: Ich höre ... !  2-mal: Ich spüre ... ! 


    Zuletzt, einige Zeit lang mehrmals

    1-mal: Ich sehe ... !  1-mal: Ich höre ... !  1-mal: Ich spüre ... !

    Führen Sie anschließend diese Übung noch einmal durch. Sie können auch nur einen Sinn benutzen, so wie es gut für Sie ist!

    Wenn Sie im „Hier und Jetzt“ wieder angekommen sind, verrichten Sie angenehme und entspannende Dinge. Überfordern Sie sich nicht!


    Hilfen zur Entspannung

    * Sinngebung: „Alles hat einen Sinn/einen Grund. Auch 

    wenn ich ihn im Moment nicht sehen kann, weil die 

    Situation so schwierig ist.“

    * Selbstermutigung: „Ich kann es aushalten, es wird nicht 

    ewig andauern. Ich werde es schaffen, so wie ich vieles 

    in der Vergangenheit schon geschafft habe.“

    * Musik hören und laut mitsingen

    * Gehen Sie in die Natur und lassen Sie ihren Blick immer 

    wieder erforschend schweifen. Hören Sie auf die 

    Geräusche

    * Genügend Schlaf und ein ausgewogener Tag-Nacht-

    Rhythmus sind wichtig

    * Gesunde Ernährung: Tun Sie sich etwas Gutes

    * Beziehungen pflegen – liebe Mitmenschen um Hilfe 

    bitten! Telefonnummer bereitlegen!


    Hilfen bei Anspannung

    * Riechen Sie an etwas Starkem, zum Beispiel Ammoniak oder

    Teebaumöl, um in die Gegenwart zurückzufinden

    * Gurgeln Sie

    * Rennen Sie schnell die Etagen im Treppenhaus herauf und herunter

    * Gehen Sie in den Wald oder an eine verlassene Stelle und schreien Sie ganz laut und aus tiefstem Herzen


    * Machen Sie Gehmeditationen: 

     - Beginnen Sie langsam 

     - Steigern Sie das Tempo 

     - Hören und sehen Sie bewusst Ihre Umgebung 

     - Sprechen Sie einen für Sie hilfreichen Satz, 

    zum Beispiel: „Ich bin sicher“ oder 

    „Ich darf sein, wie ich bin“

     - Beginnen Sie mit 5 bis 10 Minuten und führen Sie die 

    Übungen so lange durch, wie es Ihnen guttut. 

    Die Zeit bestimmen Sie.


    * Spielen Sie Tetris – wirkt Wunder durch 

    Aufmerksamkeitsfokussierung und Ablenkung

    * Suchen Sie professionelle Hilfe auf!

    * In ganz schwierigen Momenten: Halten Sie den Kopf unter kaltes Wasser oder duschen Sie kalt!




  • Atemübungen

    Beim bewussten Atmen verlangsamt sich unser Denken und wir können echte Entspannung erleben. Achtsames Atmen hilft uns, ruhig, entspannt und zufrieden zu werden. Vergangenheit und Zukunft können kontrolliert in den Hintergrund geraten. Bei allen Atemübungen soll tief in den Bauch und über die Nase ein- und den Mund ausgeatmet werden.


    4-6-Atemübung

    Nehmen Sie sich etwas Zeit und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie in folgendem Rhythmus:

        4 Sekunden einatmen

        6 Sekunden durch den leicht geöffneten Mund ausatmen


    4-7-8-Atemübung

    Nehmen Sie sich etwas Zeit und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie in folgendem Rhythmus:

        4 Sekunden einatmen

        7 Sekunden die Luft anhalten

        8 Sekunden durch den leicht geöffneten Mund ausatmen

    Bitte zählen Sie die Atemzüge immer mit. 

    Sie können die Augen offen oder geschlossen halten – wichtig ist, dass es sich gut für Sie anfühlt. Acht Durchgänge führen zu einer deutlichen Entspannung. Es kann auch sehr hilfreich beim Einschlafen sein.

  • Impulskontrollübung

    * Aus der Situation gehen

    * 3-mal in die Luft boxen

    * Satz sagen: Setz dich und entspanne dich!

    * Langsam bis 5 zählen

    * 3-mal tief ein- und ausatmen

    * 3-mal tief ein- und ausatmen mit jeweils 3 Sekunden Luftanhalten

    * 3-mal tief ein- und ausatmen

    * Langsam bis 5 zählen


    Und Sie sind ruhig!

Infoblatt: Trauma

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